Wenn Schmerz zur Krankheit wird

Von essentieller Bedeutung ist die ursächliche Abklärung von Schmerz. Der Arzt erfragt hierzu den Charakter, die Lokalisation, die Intensität und die Dauer. Wichtig ist die Unterteilung, ob es ein akuter (mit entsprechender Warnfunktion) oder chronischer (länger als sechs Monate andauernder)Schmerz ist.

Die größte Gruppe der chronischen Schmerzen betrifft Kopfschmerzen, gefolgt von Rücken-, Gesichts- bzw. Tumorschmerzen. Neuropathische Schmerzen sind Schmerzen, die durch eine Verletzung oder Fehlfunktion des zentralen oder peripheren Nervensystems bedingt oder ausgelöst werden. Klinische Merkmale neuropathischer Schmerzen sind spontane unangenehme Empfindung (Dysästhesie), verstärkte Schmerzempfindung (Hyperalgesie) bzw. Schmerzauslösung durch Reize, die eigentlich keine Schmerzen verursachen (Allodynie).

Gegenüber der Trigeminusneuralgie nehmen Rückenbeschwerden (chronic low back pain) heutzutage eine quantitativ weitaus größere Bedeutung ein.

Gerade chronischen Rückenschmerzen liegt ein außerordentlich komplexes Wirkgefüge zugrunde. Wirbelsäulenveränderungen, psychosoziale Einflussfaktoren, radikuläre und neuropathische Läsionen sind nur einige Komponenten. Daher bedürfen sie unbedingt einer interdisziplinären Behandlung, in der sich orthopädische, neurologische, neurochirurgische und schmerztherapeutische Ansätze ergänzen. Auch der Betroffene selbst hat die Möglichkeit, mit den sog. „Lifestyle-Faktoren“ seine Schmerzen zu behandeln (regelmäßige Bewegung, Ausdauersport, Reduktion von Übergewicht, Erlernen von Entspannungsübungen wie Biofeedback usw.).

Ein integrativer Behandlungsplan sieht adäquate Pharmakotherapie, psychologische Strategien (Verhaltenstherapie), Physiotherapie, Rehabilitationsmaßnahmen (Hilfsmittel, Arbeitsplatzgestaltung), evt. auch psychiatrische Behandlung bei z.B. Depressionen vor. Nicht zuletzt ist die Indikation für implantierbare Systeme wie intrathekale Pumpen, mit Opiaten oder tonusregulierenden Medikamenten gefüllt oder Rückenmarksstimulation zu prüfen.

Die Rückenmarksstimulation (spinal cord stimulation) ist eine minimal-invasive Therapieform für chronische Schmerzen. Angewandt wird dies bei neuropathischen Schmerzsyndromen, d. h. Radikulopathien, Phantom- oder Stumpfschmerzen, Plexusläsionen, beim CRPS (complex regional pain syndrome), aber auch bei vaskulär bedingten Schmerzen wie bei der arteriellen Verschlusskrankheit bzw. Angina pectoris.

Das sog. SCS-System (spinal cord stimulation)  besteht aus Elektrode, Impulsgeber und einer Energiequelle, der Batterie. Steuerung und Stromversorgung erfolgt durch einen meist in der Bauchdecke implantierten Impulsgenerator, der einem Herzschrittmacher ähnelt. Eine Elektrode wird am Rückenmark so positioniert, dass der sog. Hinterstrang stimuliert wird, der maßgeblich für die Schmerzverarbeitung und –weiterleitung ist. Mit einem Programmiergerät werden Impulse, deren  Dauer, Frequenz und Stromstärke variabel eingestellt. Durch diese Reizung findet eine Hemmung der Schmerzfasern statt. Der theoretische Gedanke ist hierbei, dass es durch eine Reizüberlagerung zu einer Konkurrenz unter den einlaufenden Impulsen kommt (gate-control-theory), die die Informationen der schnell leitenden Fasern (Berührung, Stimulation) gegenüber den langsam leitenden (Schmerz) letztlich bevorzugt. In der Praxis heisst dies, dass der Patient die Neurostimulation als Kribbelgefühl im betroffenen schmerzhaften Areal wahrnimmt.

Vorteile der Rückenmarksstimulation wie auch der Schmerzpumpen sind eine effektive Reduktion der Schmerzmedikation und die Möglichkeit einer angepassten Steuerung.

Nachteilig sind mögliche Fehllagen der Elektrode, die eingeschränkte Lebensdauer der Batterie (drei bis neun Jahre, danach notwendiger Austausch). Auch lassen sich nicht alle Schmerzarten damit erfolgreich behandeln.

Typische Beispiele neuropathischer Schmerzen sind die Trigeminusneuralgie, die postherpetische Neuralgie oder schmerzhafte Polyneuropathien. Die typische – früher „idiopathische“ Trigeminusneuralgie ist der Prototyp eines neurovaskulären Kompressionssyndroms. Dabei kommt es an einer Nerveneintrittsstelle des V. Hirnnerven, des N. trigeminus, am Hirnstamm auf dem Boden eines Gefäß-Nerven-Kontaktes zu fehlerhaften Nervenimpulsen, die die typischen Schmerzattacken verursachen.

Bei den symptomatischen Formen der Trigeminusneuralgie liegen raumfordernde (Tumore) bzw. demyelinisierende Prozesse (Multiple Sklerose) zugrunde.

Vereinfacht dargestellt, versorgt der Trigeminusnerv das Gesicht sensibel, motorisch versorgt er die Kaumuskeln. Auf seinem Weg teilt er sich in drei Äste auf: N.ophthalmicus (V1), N. maxillaris (V2) und N. mandibularis (V3). Grob definiert,  versorgt der erste Ast Stirn- und Augenareal, der zweite das Wangenareal und der dritte die Kiefergegend. Klinisches Merkmal ist der blitzartig einschießende, z. T. elektrisierende Schmerz, der auch durch Kau- und Mundbewegungen, Rasieren, Luftzug u. ä. provoziert werden kann. Meist betrifft der Schmerz nur einen Ast des Trigeminusnerven.

Zunächst behandelt man die Trigeminusneuralgie mit Medikamenten. Dabei kommen vor allem Antiepilepsie-Medikamente zum Einsatz. Hintergrund ist, dass diese Präparate die Nervenzellmembran stabilisieren und damit krankhafte Nervenimpulse hemmen. Auch Antidepressiva kommen eine maßgebliche Bedeutung zu, greifen sie doch in die Schmerzverarbeitung ein. Opiate kommen ebenfalls zum Einsatz, hingegen sind sog. NSAR (nicht steroidale Antirheumatika) ohne Effekt.

Wenn die medikamentöse Behandlung ausgereizt ist oder nicht vertragen wird, stellen sich auch neurochirurgische Behandlungsoptionen dar. Hierbei ist die bekannteste Methode die Operation nach Jannetta, die sog. mikrovaskuläre Dekompression. Hierbei wird zwischen dem Nerv und der Arterie (selten eine Vene) ein Kunststoff-Schwämmchen oder Tefloninterponat oder auch Muskelgewebe eingelegt. Dieser Eingriff ist etwas belastender und komplikationsbehafteter als die weiter unten aufgeführten Eingriffe, hat aber eine niedrige Rückfallquote.

Eine weitere, häufig eingesetzte Therapieoption, ist die sog. perkutane Thermokoagulation des Ganglion gasseri, einem Kernzentrum des Trigeminusnerven. Die Ergebnisse der Schmerzstillung sind sehr gut, halten aber nicht immer lebenslang an.

Ein weiteres Beispiel eines mikrovaskulären Kompressionssyndrom ist der sog. Hemispasmus facialis, eine einseitige, unwillkürlich auftretende Verkrampfung der Gesichtsmuskulatur. Hier handelt es sich nicht um den Trigeminusnerven, sondern um den Fazialisnerven, der durch eine Arterie komprimiert wird. Auch hier kann nach Ausreizung der konservativen Therapie mit Medikamenten die o. g. Operation nach Jannetta durchgeführt werden.


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